ZOOPOLIS

Kuratiert von Marion von Osten*, Christian Hiller, Alexandra Nehmer, Anh-Linh Ngo und Peter Spillmann in Kollaboration mit Felix Hofmann, Ivana Marjanović, Birgit Brauner und Karl-Heinz Machat
Die Ausstellung ist der zweite Teil des internationalen Projekts Cohabitation von ARCH+ initiiert und von der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Weltweit realisierten im Jahr 2021 internationale Partner*innen lokale Forschungsprojekte, Case Studies und Gestaltungsexperimente.
*Marion von Osten hat das Projekt initiiert. Sie starb im November 2020. Das Projekt ist ihr gewidmet.
Städte gehörten nie nur den Menschen, auch Tiere waren immer schon Stadtbewohner. Parks, Friedhöfe, Brachen, überwachsene Bauruinen, Baustellen und die buchstäblich vielschichtige Stadtarchitektur selbst bieten vielen Spezies gute Lebensbedingungen. Aktuell nimmt die Migration von Tieren in die Städte weltweit zu. Ein Grund ist, dass das Nahrungsangebot dort oft besser ist als auf dem durch die Monokulturen der Agrarindustrie geformten Land. Gleichzeitig verursacht die Verstädterung seit Beginn der Moderne einen Großteil des Ressourcen- und Flächenverbrauchs, der wesentlich zum Klimawandel und zum Artensterben beiträgt. Bei der Suche nach Auswegen aus der ökologischen Krise kommen wir daher an der zentralen und gleichzeitig ambivalenten Rolle von Städten nicht vorbei.
Die Ökologiebewegung stieß zwar in den 1970er-Jahren ein Umdenken in Architektur und Stadtplanung an, doch der entscheidende Schritt, den urbanen Raum auch als Habitat anderer Spezies zu begreifen, steht noch aus. Es ist an der Zeit, nicht-menschliche Spezies als Stadtakteure anzuerkennen und daraus neue Ansätze für die Gestaltungspraxis und Raumproduktion zu entwickeln. Neben urbanistischen Fragen geht es in Cohabitation jedoch auch um zentrale politische Themen. Denn die Plünderung der Natur erzeugt globale Ausbeutungsketten und Ungerechtigkeit unter Tieren wie Menschen. Mensch-Tier-Verhältnisse neu zu denken bedeutet daher auch, Klassen- und Geschlechterverhältnisse sowie Rassismen in den Blick zu nehmen. Erst dann können wir von Grund auf neue Formen des solidarischen Zusammenlebens in zukünftigen Stadtgesellschaften gestalten.
ANTROPHOCITY
Der Hygienediskurs und die Wohnreformen Ende des 19. Jahrhunderts setzten dem engen urbanen Zusammenhang zwischen arbeitenden Menschen und Tieren ein Ende. Die Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse zwischen Menschen und Tieren wurden durch eine räumliche Trennung verschleiert: Massentierhaltung und Schlachtfabriken zur Versorgung der explodierenden städtischen Bevölkerung wurden an die Peripherie verlagert. Im Zuge der Herausbildung der bürgerlichen Familie und deren Praxis der Haustierhaltung entwickelte sich zudem eine bis heute gültige Hierarchie vom gehegten Heimtier über das Nutztier als Ware bis zum Wildtier als Repräsentanten der ungezähmten Natur, wobei das städtische Wildtier durchs Raster fiel, manchen gar als „entartet“ galt. Doch selbst Haustiere besitzen eine Handlungsfähigkeit, die weit über ihre von den Menschen zugewiesene Rolle hinausgeht. Die Stadt neu zu denken bedeutet daher, ihre anthropozentrische Konzeption zu überwinden.
ECOCITY
Die Ökologiebewegung brachte alternative Ansätze hervor, die den Gegensatz zwischen Stadt und Natur aufbrachen. So forderte die in den 1960er-/70er-Jahren entstehende Stadtökologie die Anerkennung einer neuen Kategorie der Stadtnatur. Mit dem Wissen um ökologische Zusammenhänge wuchs jedoch auch das Streben, diese zu kontrollieren. Diese Vision künstlich herstellbarer Umwelten und kontrollierbarer Ökosysteme prägt bis heute unsere Vorstellung von der technischen Beherrschbarkeit der Klimakrise. Darüber hinaus dient die Instrumentalisierung und Kapitalisierung von Natur seit Beginn des Kolonialismus auch der Machtausübung über als „Andere“ markierte Menschen. Ein aktuelles Beispiel ist die Vereinnahmung des Naturschutzes durch rechte politische Akteur*innen, die das Leben von Tieren gegen das von rassifizierten Menschen ausspielen. Eine wahrhaft ökologische Stadt muss daher auch an der (Interspezies-)Machtfrage ansetzen, anstatt lediglich die bestehenden Hierarchien mit einem grünen Schleier zu kaschieren.
ZOOPOLIS
Theoretiker*innen wie Donna Haraway und Anna Lowenhaupt Tsing entwickelten in den letzten Jahrzehnten ein neues Bewusstsein dafür, dass der Mensch sich nur in der wechselseitigen Beziehung zu anderen Spezies entwickeln konnte. Erkennen wir unsere Abhängigkeit von ihnen an, brauchen wir neue Politikmodelle, die den Menschen nicht mehr über alles stellen, sondern die Bedürfnisse anderer Lebewesen einbeziehen und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Was das für den städtischen Raum bedeuten könnte, wurde bisher nur wenig reflektiert und noch seltener praktisch erprobt. Dabei könnte die Anerkennung nicht-menschlicher Lebewesen als Akteure, die die Stadt aktiv mitgestalten, neue Möglichkeiten eröffnen, Lebensraum jenseits von purer Verwertung, Spekulation und von Nützlichkeitsdenken zu gestalten: als einen Inter-Spezies-Raum, der die gegenseitige Abhängigkeit von Menschen, Tieren und Pflanzen berücksichtigt und dadurch eine erweiterte Idee von Gesellschaft und lebenswertere Städte für alle ermöglicht.
VERANSTALTUNGEN WÄHREND DER AUSSTELLUNG
ERÖFFNUNG
03.06.2022, 19:00 UHR
COHABITATION TEIL II: EIN MANIFEST FÜR SOLIDARITÄT VON TIEREN UND MENSCHEN IM STADTRAUM
KURATOR*INNEN-TALK
04.06.22, 12:00
COHABITATION TEIL II: EIN MANIFEST FÜR SOLIDARITÄT VON TIEREN UND MENSCHEN IM STADTRAUM
mit Peter Spillmann, Felix Hofmann und Ivana Marjanovic
LESUNG
10.06.2022, 17:00
KARIN HARRASSER IM KUNSTRAUM INNSBRUCK
in Kooperation mit dem Institut für Philosophie, Universität Innsbruck
BUCHPRÄSENTATION & LESUNG
02.08.20222, 18:00
SCHWEIN UND ZEIT
mit Fahim Amir
FÜHRUNG
12.08.2022, 15:00
ENGLISCH
mit Ivana Marjanovic
FÜHRUNG
17.08.2022, 17:00
FÜR MITGLIEDER
mit Peter Spillmann