NO MORE PROFIT
Kuratiert von Ivana Marjanović
Die in Innsbruck tätige Künstlerin Heidi Holleis präsentiert ihre aktuellen Arbeiten, heimgesucht von den Geistern der Vergangenheit und getrieben von der Frage, wie wir den kapitalistischen Zustand von Ausbeutung, Aneignung und Konsum überwinden können.
Mit Referenzen an Popkultur, Stile der 1980er Jahre, Game Cultures oder an politische Denker*innen wie Karl Marx, Jacques Derrida und Avery F. Gordon reflektiert Holleis über Kritik und Möglichkeiten des Widerstands innerhalb der neoliberalen Dauerschleife.
Das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels beginnt mit dem berühmten Satz „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.“ Dieses Gespenst, das seinen Weg in Staatsordnungen fand, wurde im 20. Jahrhundert herausgefordert und hat Denker*innen am Ende des Kalten Krieges und danach intensiv beschäftigt. In seinem Buch Marx‘ Gespenster diskutiert Jacques Derrida die Zukunft des Marxismus und besteht dabei auf der Bedeutsamkeit von Marx‘ Kapitalismuskritik. Heute, wenn wir von einer Krise nach der anderen heimgesucht werden, einschließlich aktueller Extraktionskrieg(e) um limitierte Ressourcen der Erde und dem Wiedererstarken des Neo-Faschismus, kann ein Zurückkommen auf den Marx’schen Spuk mit Heidi Holleis neue kritische Impulse anbieten.
In ihrer neuen Serie von Ölbildern mit dem Titel Out of Paku Paku schafft Heidi Holleis verspielte und ironische Auseinandersetzungen mit der Popkultur der 1980er Jahre, dem Konsumismus und Videospielen. Out of Paku Paku geht von dem ersten und größten Shot der Game Industry aus, dem japanischen Labyrinth-Action-Spiel PAC MAN. Benannt nach dem Ausdruck „paku paku“ für das wiederholte Öffnen und Schließen des Mundes, repräsentiert Pac Man die ikonische Figur der Intensivierung des Konsums. Die Aufgabe Pac Mans (d.h. der Spieler*in) ist es, so viel Punkte wie möglich zu fressen/sammeln. Der unersättliche gelbe „Kreis“ Pac Man wird gejagt von vier Geistern in verschiedenen Farben, deren gespenstische Präsenz und Kraft nicht eliminiert werden kann (sie kann nur temporär gelähmt werden). Viele von uns erinnern sich an Pac Man, wenn nicht direkt durch das eigene Spielen, dann durch das enorme Merchandise der Producer.
Wenn die 1980er Jahre auch die Kindheit und Jugend der Künstlerin darstellen, dann hat die Serie Out of Paku Paku jedenfalls viel mit Holleis‘ jahrelanger Recherche und Beschäftigung mit Geistern und Hauntology zu tun. Referenzen auf die Popkultur brachten die Farbpigmente zurück und belebten Holleis’ malerische Arbeit. Neben der Kritik an der Konsumgesellschaft reflektiert die Serie über Stile und Kultur als Ausdrucksformen von Alternativen und deren Kapitalismuskritik (von Musik, Gaming, Mode, Clubbing bis zur Street Art).
Der Ausstellungstitel NO MORE PROFIT zitiert direkt den Titel und den Inhalt des Kunstwerks No more profit (2019–2021), das zu einer früheren Serie von Kunstwerken gehört, nämlich der Serie Phantom Force. Was will Heidi Holleis mit ihren gespenstischen postkonzeptionellen Kunstwerken sagen, die mit einer von den Surrealisten erfundenen Fumage-Technik hergestellt wurden? Indem sie künstlerische Techniken und Materialien als konzeptionelle Werkzeuge einsetzt, mit Feuer und Rauch „zeichnet“ und collagiert, ruft Holleis nicht nur ein Gespenst in ihre Bilder, sondern viele – die ganze Gesellschaft der Gespenster. Diese „Kreaturen“, Phantome, nicht lebendig, nicht tot, nicht menschlich, nicht tierisch, nicht sichtbar, nicht unsichtbar, schweben in den weißen Hintergründen der Bilder. Sie nennt sie „außergewöhnliche“ Phantome. Als Künstlerin legt Heidi Holleis die Bedeutung ihrer Werke nicht fest (auch das ist eine konzeptionelle Entscheidung, denn wer kann in diesem Fall definieren, wer und was Geister sind?). Sie erwartet, dass wir uns unsere eigenen Gedanken über ihre Arbeiten machen, die in einem lockeren Zusammenhang mit den sie umgebenden gesellschaftspolitischen Dringlichkeiten stehen. Im Kontext von Holleis’ Werk kann die Aussage „No More Profit“ uns nicht nicht auch an Karl Marx und seine Kritik des Profits denken lassen, als kapitalistische Aneignung des Mehrwerts, der aus Arbeit extrahiert wird, die über die für die Reproduktion des Lebens hinausgeht. Das andere "Fumage-Bild" How can it be? (2021) zeigt den Text „Wie kann es sein, dass ich nicht mehr bin?“, der aus Rauchspuren aufsteigt. Ist das Karl Marx, der sich über die heutige Marginalisierung seines Denkens beklagt? In einem anderen Werk fügt Holleis einen Kommentar zu einer Episode geisterhafter Gewalt hinzu Today I was (2021). Geister können, wie die Welt, in der wir leben, „progressiv“, aber auch gefährlich konservativ sein.
Heidi Holleis’ feministische Position durchdringt auch ihre Serie Out of Paku Paku. Neben der Leichtigkeit und dem Stil des 1980er-Jahre-Revivals, der Kapitalisierung der Vergangenheit (repräsentiert durch die von ihr verwendeten Farbskalen, die ästhetischen Formen der 1980er-Jahre-Poster usw.), kommunizieren diese Bilder auch etwas Brutales: die (un-)sichtbare Hand des Kapitalismus, die interventionistische globale Wirtschaft, der neokoloniale Tourismus, all das ist der Kontext, in dem „Pink Ghost“, Feind des Pac Man, steht. Die*der so genannte Pinky nimmt dennoch einen monumentalen Platz in der Serie ein (wohingegen Pac Man ein winziger Punkt in diesem Universum ist). Dieses vorerst geschlechtslose Gespenst nimmt langsam „weibliche"“ Züge an und kann spekulativ als Verweis auf (queer-)feministische Positionen gedeutet werden. Man könnte hier in Zukunft auch andere Pac-Man-Geister erwarten, die das Bild und seine Diskurse weiter diversifizieren.
Je nachdem, wo man* die Ausstellung betritt, bilden zwei Stationen den möglichen Anfang und das Ende ihrer Dramaturgie. Die erste ist die Generation Z (GZ, 2022) als symbolischer Blick in die Zukunft und das Momentum für die gender-fluiden, nicht-binären Digital Natives, die für das ökologische Überleben in Städten protestieren, deren Straßen bei Sonnenaufgang mit Bergen von Lieferkartons gepflastert sind, die darauf warten, vom Mülldienst abgeholt zu werden. Die zweite Station ist der Magic Room - Meditate with Karl, in dem Arbeiten aus der Serie von Grafiken und Collagen auf Papier Complementary Affairs (2017-2020) präsentiert werden. Hier werden wir mit Karl Marx und seinem(n) Geister(n) allein gelassen, um darüber nachzudenken, was wir heute mit Marx’ Denken anfangen können.
Arbeiten aus Holleis’ früheren künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Material Asche sowie Assemblage-Malereien, gefertigt aus Produktverpackungen aus Pappe, geben eine Verbindung zu den Anfängen der Reflexionen der Künstlerin über den Konsumismus durch abstrakte Kunst, The System is written on a Box (2013), We love to consume 1-4 (2013), Do you fear? (2013-2020).
„Ich fürchte mich nicht vor Geistern, sondern eher vor Menschen, die sich vor Geistern fürchten.“ (Heidi Holleis)
Heidi Holleis, geboren 1974 in Innsbruck; lebt und arbeitet in Innsbruck. Heidi Holleis befasst sich mit den Medien Malerei, Collage, Fotografie, Installation und analoger wie digitaler Druckgrafik. Unter anderem inspiriert von gesellschaftspolitischen, philosophischen oder auch naturwissenschaftlichen Themen, entnimmt sie daraus Aspekte und überträgt diese in ihr künstlerisches Feld.
Zahlreiche Preise und Stipendien unter anderem 2017 35. Österreichischer Grafikwettbewerb, Preis des Landes Vorarlberg; 2017 Förderpreis für Zeitgenössische Kunst des Landes Tirol.
Ihre Arbeit ist in diversen öffentlichen Sammlungen präsent (Auswahl): Sammlung Land Tirol; Sammlung Stadt Innsbruck; Sammlung Artothek, Bundeskanzleramt, Belvedere21, Wien; Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck.
Einige Ausstellungen, in denen Heidi Holleis ihre Arbeiten zeigte, sind: 2021 SOLO-SHOW: RESERVE ARMY OF LABOUR, Reich für die Insel, Heart of Noise Festival, Innsbruck (kuratiert von #distinguishedAF); 2019 SOLO-SHOW: Phantom force, Sussudio, Wien (kuratiert von Katharina Stiglitz); 2019 SOLO-SHOW: The ghost is me, openspace.innsbruck, Innsbruck (kuratiert von Charly Walther); 2018 GROUP-SHOW: Tirol.export, Parallel Vienna, Wien (kuratiert von Maximilian Thoman und Simeon Brugger); 2016 GROUP-SHOW: Asche, ExtraRaum, Wien (kuratiert von Jeannot Schwarz); 2015 SOLO-SHOW: POLY X, Dom zu St.Jakob, Innsbruck (kuratiert von Elisabeth und Gerhard Larcher); 2015 GROUP-SHOW: set in motion, Kunstraum Innsbruck (kuratiert von Karin Pernegger).
Weitere Informationen: https://heidiholleis.net/https://heidiholleis.net/
02.12. 19 UHR ERÖFFNUNG UND PARTY
08.-10.12. 18 UHR OFFTANZ PERFORMANCE
15.12. 18 UHR ARTIST TALK
20.01. 16 UHR FEMINIST HORROR
08.02. 18 Uhr FÜHRUNG
16.02. 19 Uhr ANTIFASCIST SPIRITS